X-beliebig? Mein LIMESODA-Kommentar zum neuen Twitter-Logo
Es klang unglaublich, und ja, auch ich dachte zuerst an einen Tagespresse-Artikel: Einer der bekanntesten – wenn nicht sogar der bekannteste – Kurznachrichtendienste ändert quasi über Nacht sein ikonisches Blue-Bird-Logo gegen ein nichtssagendes „X“. Diese Veränderung ist deshalb unglaublich, weil Twitter-CEO Elon Musk damit nicht nur auf ein weltweit bekanntes Logo verzichtet. Auch Begriffe wie „twittern“ oder „Retweet“, die mittlerweile in die Alltagssprache eingegangen sind, gehen verloren. Zumindest bleibt die Webadresse twitter.com vorläufig bestehen.
Disclaimer: Dieser Blogpost wurde von Menschen geschrieben (#madebyhumans) und spiegelt meine persönliche Meinung als Designer wider. Es handelt sich nicht rein um wissenschaftlich fundierte Aussagen. Was Sie hier lesen, basiert jedoch auf jahrzehntelangen Erfahrungen im Bereich Marken und Corporate Design. Es handelt sich also um eine qualifizierte Meinung. Zudem zitiere ich branchenübliche Standards, Wissen und Aussagen zu diesem Thema. Das Ziel dieses Blogposts ist es, Ihnen bei eigenen Designentscheidungen eine Orientierungshilfe zu bieten.
Die Welt rätselt jedenfalls, was Musk mit der Marke vorhat. Sollte er tatsächlich planen, etwas völlig Neues zu schaffen, er hätte das wahrlich billiger haben können: Satte 44 Mrd. US-Dollar hat Musk für die Twitter-Übernahme hingelegt. Damit lässt sich mehr als nur eine Media-Plattform aufbauen. Das alles sieht also weniger nach einer wirtschaftlich durchdachten Strategie aus, sondern riecht nach »Kulturvandalismus«, wie es Technologie-Journalist Casey Newton in seinem Beitrag auf Plattformer formuliert.
In der Literatur sind mir nur wenige Fälle bekannt, in denen eine weltweit bekannte Media-Marke ihre Markenkraft derart rücksichtslos zu zerstören versucht. Selbst Facebook hat die Transformation zu Meta, inklusive eines neuen Logos, nicht auf Facebook selbst ausgerollt. Dort ist nach wie vor das bekannte „f“ zu sehen. Es ist also kaum möglich, vorherzusagen, wie sich solche radikalen Entscheidungen in 10 Jahren auf das Unternehmen auswirken. Die Datenlage ist einfach zu dünn.
Markenentwicklung – Ein jahrelanger Prozess
Doch ganz gleichgültig, was die Statistik in 10 Jahren zeigen wird, steht jetzt schon fest: Der Aufbau einer bekannten Marke dauert viele Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, und es kostet meist eine beträchtliche Summe Geld. Manchen Marken gelingt es sogar, als Nomen oder Verb in das Wörterbuch aufgenommen zu werden. Andere hingegen werden zum Begriff für eine bestimmte Art von Produkt, wie zum Beispiel „Kornspitz“ oder „Uhu“. Wer einmal diesen Grad an Bekanntheit und Wiedererkennung erreicht hat, nutzt in der Regel dieses Potenzial so lange wie möglich aus. Denn – und vorausgesetzt die Qualität ist gut genug – greifen Konsument:innen lieber zu bekannten Marken, als zu No-Name-Produkten. Hohe Bekanntheit steigert also nicht nur Umsätze, sondern verringert auch die Werbekosten. Wenn eine wandelnde Werbefläche, wie der Coca-Cola-Truck, auf der Autobahn unterwegs ist, braucht niemandem mehr überzeugt zu werden, wer hier der begehrte Markführer ist.
Warum „X“?
Zugegeben, man kann einräumen, dass die Änderung des Logos zu einem „X“ eine neue, konsequente Markenführung widerspiegelt, in der das „X“ eine zentrale Rolle einnimmt. Hierbei denke ich auch an die von Musk gegründete Marke „SpaceX“. Die formale Bewertung des neuen Twitter-Logos ist jedoch derzeit nur wenig sinnvoll. Es ist unklar, welche Werte Twitter zukünftig vertritt und warum bzw. wie sich die Marke anders positioniert. Angeblich plant die Plattform eine Erweiterung auf „jegliche Finanzgeschäfte“ und „umfassende Kommunikationsmöglichkeiten“, wie die Zeitschrift Horizont unlängst berichtete (Quelle: horizont.at, 25.07.2023)
Rebranding – Wann macht das Sinn?
Ist also ein radikales Neudesign generell keine gute Idee? Um diese Frage zu beantworten, lohnt es sich, einige unternehmensrelevante Kriterien heranzuziehen.
Ein komplettes Neudesign ist sinnvoll bei:
- Geringer Bekanntheit des aktuellen Logos bei Zielgruppen außerhalb des Unternehmens. Hier ist das Risiko niedriger, Kund:innen durch den Logowechsel zu verlieren.
- Geringen Folgekosten. Ein neues Logo bedeutet in vielen Unternehmen auch kostspieliges Rebranding. Wenn die kalkulierten Kosten dafür niedriger sind als der zu erwartende Mehrwert der neuen Marke, ist ein Neudesign empfehlenswert.
- Imagewechsel. Vormals klimaschädlich handelnde Konzerne, die auf nachhaltige Produktion umsteigen, können durch ein radikales Redesign ändern, wie sie – zumindest optisch – wahrgenommen werden.
- Strategiewechsel. Produkterweiterung oder -änderung führen oft zu einem Transformationsprozess, der auch eine Änderung des Logos erfordert (Beispiel: vom reinen Druck- zum Multimedia-Unternehmen).
Vice versa ist ein behutsames Redesign dann zu empfehlen, wenn:
- Die Marke/das aktuelle Logos hohe Bekanntheit genießt.
- Hoher Folgekosten aufgrund von Rebranding-Maßnahmen vermieden werden sollen
- das Erscheinungsbild der Marke modernisiert werden muss, aber sonst keine wesentlichen Veränderungen (bspw. bei der Markenstrategie) stattfinden.
Fazit:
Ein radikales Rebranding einer weithin bekannten Marke hat das Potenzial, stark zu polarisieren und sowohl den Verlust von Kund:innen als auch an Vertrauen zu bewirken. Die Entscheidung über Neu- oder Redesign sollte eine strategische Grundlage haben und nicht aus rein „ästhetischen“ oder kosmetischen Motiven heraus getroffen werden.
Marken- oder Logowechsel sollten immer in Abstimmung mit Zielgruppen, Mitarbeiter:innen und dem Management stattfinden. Immerhin handelt es sich hier um die wichtigsten Markenbotschafter.
Niemand kann mit Sicherheit sagen, was Twitter zu diesem Schritt, dem Logowechsel, bewogen hat. Es ist nicht auszuschließen, dass ein langer, strategisch begründeter Marken-Redesign-Prozess diesem zugrunde liegt.
Ebenso wenig kann man ausschließen, dass es sich bei diesem Manöver um schlechte Unternehmensführung handelt. Zu oft entstand der Eindruck, der exzentrisch wirkende Elon Musk handle selbstverliebt und gegen die Interessen seiner Kund:innen, Mitarbeiter:innen und Zielgruppen.
Ob das neue Twitter eine weiterhin erfolgreichere Medienplattform wird oder ob es – völlig abgespaced – in der Bedeutungslosigkeit verschwindet, wird die Zukunft zeigen. Man wird sehen, wohin die Reise mit dem X geht. Fest steht, dass bei Twitter Feuer am Dach ist. Im Brand Value Ranking ist die Marke von Platz 26 (2022) auf Platz 34 (2023) zurückgefallen. (Quelle: https://brandirectory.com/rankings/media/table, 25.07.2023)
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