Was ist: Guerilla Marketing?

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Wörter: 1170,
Lesezeit: 10 Minuten.

Manchmal braucht man einfach einen sehr langen Atem: 2,36 Millionen Jahre und 8 Wochen müsste ein Österreicher arbeiten, um 85 Milliarden USD zu verdienen (Annahme: Gehalt 30.000 EUR/Jahr, umgerechnet 36.000 USD). Das entspricht in etwa den Einnahmen der Firma Facebook Inc. im Jahr 2020. Zum Vergleich: 2011 lag der Umsatz des Social Media Giganten noch bei 3,7 Mrd. USD.

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Geld mit Emotionen

Eine Entwicklung, die sich freilich nicht allein darauf zurückführen lässt, dass Facebook »Werbung im Internet« macht. Das soziale Netzwerk verdient sehr viel Geld damit, menschliche Emotionen zu kapitalisieren, wie Havard-Professorin Shoshana Zuboff Ihrem Buch »The Age of Surveillance Capitalism« feststellt.

In diesem Blogpost möchte ich aufzeigen, warum Plattformen wie Facebook – trotz ihres gigantischen Erfolgs – von vielen heimischen Unternehmen immer noch unterschätzt werden, und zwar hinsichtlich ihrer Bedeutung für Online-Marketing. Und Sie erfahren etwas über die (nicht mehr ganz so neue) Strategie des s.g. Guerilla Marketings, das durch Social Media eine neue Renaissance erlebt hat.

Der Erfolg der Marke Facebook scheint derzeit nur eine Richtung zu kennen. Steil nach oben. Obwohl bereits mehrfach totgesagt, legt sich der Gigant schon mal mit einem ganzen Kontinent an.

Ob nun Konzerne, NGOs, Regierungen, Vereine oder Universitäten – für viele Unternehmen ist es mittlerweile selbstverständlich, Kunden, Angestellte oder Wähler über soziale Netzwerke anzusprechen. Das Österreichische Bundeskanzleramt verfügt sogar über eine eigene Social-Media-Stabsstelle.

Social Media in der Praxis: Die weltweit umsatzstärksten Unternehmen überlassen bekannterweise nichts dem Zufall und besitzen Social-Media-Teams mit mehreren hundert Mitarbeitern. Das geht aus einer Erhebung des Softwareherstellers Planable Inc. hervor.

Daneben gibt es aber auch zahlreiche, heimische Unternehmen, die diese Form des Marketings immer noch als reine Nebensache behandeln. Da kann es dann schon mal passieren, dass die »Dame an der Rezeption« nebenbei die Postings macht. In der Praxis sind die Ergebnisse dementsprechend, was Qualität und Reichweite betrifft:

Nicht gerade geeignet, um Massen zu begeistern: Das Flugblatt mit der guten »Offline-Bilanz« zeigt online nicht die gewünschte Wirkung:

Doch warum gibt es im Management so manchen Unternehmens ein derart geringes Verständnis für eine schon längst anerkannte Marketingmethode? Um das zu verstehen, müssen wir etwas weiter vorne in unserer Geschichte beginnen.

Eine Welt ganz ohne Internet

Eine Zeitreise, nachzusehen auf youtube: Falter-Chefredakteur Florian Klenk führte sein Publikum im Gastvortrag »Fake? Fakt? Was darf man glauben?« durch die Welt der 90er des 20 Jh. Er beschreibt dort die massiven Veränderungen der Medien seit Beginn den frühen 1990er:

  • 1990 ist eine Welt ohne Handy, Twitter, Instagram und Facebook. Mark Zuckerberg war gerade in der Volksschule und bekam Noten statt Likes.
  • Es existiert praktisch keine private Internet-Nutzung.
  • Die Kronen Zeitung hatte eine Druckauflage von 1,07 Mio. Exemplaren. Die unter dem Dach der Mediaprint erscheinenden Zeitungen „Kurier“ und „Krone“ erreichten gemeinsam bis zu 50% aller österreichischen Zeitungsleser.
  • Die Samtsag-Abend-Show »Peter Alexander Show« lockte bis zu 38 Millionen Zuseher vor den Fernseher und hatte eine Einschaltquote von bis zu 77%. Allein die am 21.Dezember 1991 ausgestrahlte Sendung hatte mit 2,85 Mio. Zusehern die zweitbeste Reichweite aller bisher in Österreich gemessenen Sendungen.


Die Welt heute

  • Rund 6,6 Mio. Österreicher nutzen das Internet privat. 59,5 % davon für Soziale Netzwerke.
  • Facebook hat einen Marktwert von 676 Mrd. USD.
  • Die Kronen Zeitung hat mit etwa 1,954 Mio. Lesern eine Reichweite von 25,9% (Noch 2009 hatte die Krone eine Reichweite von 40,4% bei 2,853 Mio. Lesern).
  • Die ZIB1 vom 18.05. 2019 („Ibiza Video“) wurde von 1,922 Mio. Zusehern verfolgt. Nicht weniger beeindruckend die Reichweiten auf youtube: Allein das Video »Die geheimen Strache Videos: Worum es geht« hat aktuell 1,22 Mio. Aufrufe (Stand: 16.03.2021).

Diese radikale Transformation der Medienlandschaft hat alte Hierarchien aufgelöst. Und dennoch hat diese Welt einen starken Eindruck bei den –damals noch jungen und aufstrebenden – Führungskräften der 90er hinterlassen. Er wird bei so manchen die Vorstellung über Werbung und Marketing für immer prägen.

Der Persil-Mann und die Werbewelt der 90er

Einige von Ihnen können sich vielleicht noch an den Persil-Mann aus der Fernsehwerbung der 70er, 80ern und 90er erinnern. Eine Art Marktforscher erklärt – seriös und konservativ gekleidet – seinem Publikum die Vorzüge des Waschmittels Persil. Sachlich und ohne jede Emotion.

Dieser nüchterne und streckenweise rein erklärende Kommunikationsstil basierte auf der Annahme, dass es hauptsächlich an der Qualität liegen müsse, warum ein Produkt oft über den Ladentischt läuft. Marken müssen dieses Qualitätsversprechen dann nur mehr möglichst oft und regelmäßig wiederholen, damit potenzielle Käufer dauerhaft zugreifen. Diese Annahme wurde meist mit klassischer Marktforschung unterstützt.

Mit der weiteren Öffnung europäischer Märkte Mitte der 90er Jahre des vergangenen Jahrhunderts und zunehmender Austauschbarkeit der Angebote, standen Unternehmen plötzlich vor dem Problem des Überangebots an Waren. Die Qualität der eigenen Produkte war plötzlich kein Alleinstellungsmerkmal mehr. Immer höhere Summen mussten in Werbung gepumpt werden, damit »wenigstens irgendwo etwas hängenbleibt«.

Christian Wollscheid schreibt:

»Während sich Unternehmen in früheren Zeiten hauptsächlich noch in Produktwettbewerb befanden, verschiebt sich heutzutage die Lage immer mehr in Richtung des Kommunikationswettbewerbs

C.Wollscheid, Guerilla Marketing, 2010, S.1.

Und weiter:

»Konventionelle Kommunikationsinstrumente […] sind wichtige Bestandteile des Marketing-Mix der Unternehmen, jedoch sind die Rezipienten von dieser Maßnahme zunehmend gelangweilt[…]Nach einer Studie von Werner Kroeber-Riel und Franz-Rudolf Esch beträgt die Informationsüberlastung der deutschen Konsumenten 98%, was bedeutet, dass nur 2% des Angebots an Informationen überhaupt eine Chance bekommt, von den Empfängern aufgenommen zu werden. Klassische Werbung wirkt eher störend auf die Rezipienten, als dass sie als eine kommerzielle Informationsquelle dient […]«

C.WOLLSCHEID, GUERILLA MARKETING, 2010, S.1.

Überdruss an klassischer Werbung ist auch einer der häufigsten Gründe, warum v.a. jüngere Personen, die Chat-Apps oder Plattformen wechseln, wo sie sich untereinander austauschen. Unternehmen reagieren meist darauf, indem sie eben diese Zielgruppen regelrecht „verfolgen“ und plötzlich auf Videoportalen wie Tiktok auftauchen.

Die eindimensionale Werbekommunikation, wie sie früher praktiziert wurde, funktioniert nicht mehr. Negative aber auch positive Nutzer-Kommentare nehmen können ein (ursprünglich harmloses) Posting schnell zu einem Shit- oder Candystorm (ja, das ist tatsächlich das Gegenwort dazu) machen.

Für manche Unternehmen stellt sich dann die Frage, ob es überhaupt noch Sinn macht, sein Werbebudget in Plattformen wie Facebook zu investieren.

Guerilla Marketing – Ein Vizekanzler fährt gegen die Wand.

Bereits in den 60er Jahren des 20 Jh. suchten Marketingstrategen in den USA nach Möglichkeiten und Strategien, um mit Einfallsreichtum, unkonventionellen Maßnahmen und Flexibilität die Werbemacht großer Unternehmen zu durchbrechen, und um die von Werbung übersättigten Zielgruppen besser ansprechen zu können.

Der US-amerikanische Unternehmensberater Jay C. Levinson und Gründer der Guerrilla Marketing Global LLC prägte Anfang der 1980er für diese außergewöhnlichen Formen der Vermarktung den Begriff »Guerilla Marketing«

»Guerilla Marketing ist die Kunst, den von Werbung und Marketing übersättigten Konsumenten größtmögliche Aufmerksamkeit durch unkonventionelles bzw. originelles Marketing zu entlocken. Dazu ist es notwendig, dass sich der Guerilla Marketeer möglichst […]außerhalb der klassischen Werbekanäle und Marketing-Traditionen bewegt.«

J.C.LEVINSON, GUERILLA MARKETING des 21.Jahrhunderts, 2011,

Sie kennen vielleicht die Werbestrategie des Autovermieters SIXT. Sie basiert im wesentlichen auf dem Prinzip, Fehltritte bekannter Politiker mit Produktwerbung zu verknüpfen. Postings wie diese übersetzen quasi die Funktion des Guerilla Marketing auf Plattformen wie Facebook.

Guerilla Marketing ist keine brandneue Disziplin. Sie erlebt aber gerade in Sozialen Netzwerken eine Renaissance. Denn der rebellische Charakter des Guerilla Marketings korrespondiert scheinbar mit Echokammern besser, also sachlich und verbindlich formulierte Botschaften. Man könnte auch behaupten: Social Media hat dieser Form des Marketings eine Art Renaissance beschert.

Dass mit der Taktik des Guerilla Marketing sehr hohe, organische Reichweiten erzielt werden, haben mittlerweile auch bekannte, heimische Marken entdeckt: Die Freizeitmarke HOFER Reisen setzt in diesem Beispiel die öffentlich diskutierte Kontroverse rund um den #MEGXIT für die Bewerbung eines Fernreise-Angebots ein:

Perfekte Umsetzung des Themas MEGXIT durch die Kreativagentur.

Beim Einsatz von Guerilla Marketing, gilt es jedoch genau zu prüfen, ob diese Art der Werbekommunikation mit der jeweiligen Unternehmensphilosophie, den Werten und dem »Corporate Wording« des eigenen Unternehmens korrespondiert. Für viele Firmen sind bspw. tagespolitische Inhalte bei Postings ein absolutes »No-go«. Es sollte also stets eine genaue Abwägung stattfinden, ob Zielgruppen, Stakeholder und Mitarbeiter bereit sind, die Ausprägungen von Guerilla Marketing mitzutragen. Außerdem muss geklärt werden, ob Risiken wie »Shitstorms« gegenüber potenziellen Zielen wie mehr Reichweite und Aufmerksamkeit vertretbar sind. Wenn Sie bspw. eine Hämorrhoidensalbe herstellen, ist Guerilla Marketing vermutlich keine so gute Vermarktungsidee.

Für viele Unternehmen kommt diese Marketing-Methode also nicht in Frage. Ihre konventionelle Ausrichtung verlangt in Sozialen Netzwerken nach anderen Strategien, um ihre Kunden besser zu erreichen. Wie bspw. der Optimierung des Datengetriebenen Marketings, auch »Programmatic Advertising« genannt.

Dennoch kann richtig angewandtes Guerilla Marketing auf mehreren Ebenen den Mehrwert eines Postings steigern:

  • Erwartbare User-Kommentare erhöhen die Reichweite, was einen geringeren Einsatz von Werbebudget bedeutet
  • Positive Aussagen über das gelungene Marketing in den Kommentaren, wirkt wie ein Verstärker der ursprünglichen Botschaft. Kunden vertrauen eher Werturteilen ihres sozialen Umfelds, als zigfach geäußerten Markenversprechen.
  • Fangemeinden, die Wert auf originelle Werbebotschaften legen, werden langfristig konsolidiert.
  • Positive Effekte auf Mitarbeiter. Sie sind die wichtigsten internen Markenbotschafter des Unternehmens. Wenn Sie stolz auf die Firmen-Postings sind, besteht eine höhere Bereitschaft, positiv über sein Unternehmen zu sprechen.



Falls Sie interessiert sind, wie wir außerdem für unsere Kunden Guerilla-Marketing umsetzen, empfehle ich Ihnen den Blogpost »Vom Lagerhaus zum Schlagerhaus«

Fazit

Der Umgang von Unternehmen mit ihren Kunden, hat sich durch den zunehmenden Einsatz von Sozialen Netzwerken verändert. Marken versuchen jene spezifische Diskussionsregeln, die Facebook, Twitter & Co. etabliert haben, für ihre eigenen Geschäftsziele einzusetzen. Das gelingt jedoch nicht allein dadurch, indem man eine »Facebook-Präsenz« hat. Sachlich formulierte, aber langweilige Produktwerbung wird dort kaum mehr wahrgenommen. Denn Kunden suchen in Sozialen Netzwerken oft Unterhaltung, Emotion und Zerstreuung, jedoch nicht voranging nach Produkten (wie bspw. auf Google).

Um Guerilla Marketing erfolgreich anzuwenden, braucht es Spürsinn und Neugier und Bereitschaft für jene Themen, über die sich eigene Kunden gerade besonders intensiv unterhalten. Das muss nicht zwangsläufig ein tagespolitisches Thema sein.

Falls Sie wissen wollen, welche Social-Media-Strategie zu Ihnen passt, oder sollten Sie mit Ihrer aktuellen Strategie unzufrieden sein: Wir beraten Sie gerne in einem unserer Workshops.

Quellenangaben:

https://de.wikipedia.org/wiki/Peter-Alexander-Show, 15.03.2021
https://www.businessofapps.com/data/facebook-statistics/
https://www.statistik.at/web_de/statistiken/energie_umwelt_innovation_mobilitaet/informationsgesellschaft/ikt-einsatz_in_haushalten/index.html (inaktiv)
http://www.aeiou.at/aeiou.encyclop.p/p808282.htm
http://www.demokratiezentrum.org/wissen/wissenslexikon/kronen-zeitung.html#:~:text=Ihre%20Druckauflage%20entwickelte%20sich%20folgenderma%C3%9Fen,Hans%20Dichand%2C%20Chefredakteur%20der%20Zeitung.

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